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Sylvester, Wein und Halloween

05. November 2011, 11:42 (Kelowna, Kanada)

Sylvester

So, jetzt endlich mal wieder ein Update. Ist ja nun eine ganze Weile her, als ich das letzte Mal etwas geschrieben habe. Sorry an all meine treuen und erwartungsvollen Leser ;)

Wo soll ich anfangen. Also, meine Arbeit auf der Apfelplantage ist vorbei. Trotzdem will ich euch noch von Sylvester erzählen, der seit 35 Jahren (!!!) auf Plantagen Äpfel pflückt und wenn es gerade nix zu pflücken gibt, dann stutzt er die Bäume, dünnt sie aus oder arbeitet als Landschaftsgärtner und in seiner Freizeit unterstützt er seine Mutter. Sylvester stammt aus Guatemala und kam vor vielen Jahren nach Kanada, weil er hier einfach mehr Geld machen kann. In seinen jüngeren Jahren, wie er sagt, schaffte er gewöhnlich zwischen zehn und zwölf Bins pro Tag (zur Erinnerung, mein bestes Ergebnis war 3). Ich will mir gar nicht vorstellen, wie schnell er die Äpfel da gepfückt haben muss.

Es war immer wieder erfreulich mit "Goode morninge Mothaf*cker!" begrüßt zu werden
Sylvester war aber nicht allein auf der Plantage. Ich weiß nicht genau, wie das alles zusammenhängt, aber es gab da noch einen ziemlich temperamentvollen Italiener namens Giuseppe aus Sizilien, für den Sylvester arbeitete. Giuseppe, oder Joe, wie er auch genannt wurde, erinnerte mich recht stark an Rumpelstilzchen. Er war klein, grau- und langhaarig und er fluchte in seinem italienisch-englisch was das Zeug hielt. Es war immer wieder so erfreulich, von ihm mit "Goode morninge Mothaf*cker!" begrüßt zu werden. Naja, wir hatten nicht viel mit ihm zu tun. Die meiste Zeit verbrachte er eh nur damit, in einem der drei Betriebswagen (ein GMC Pick-up, ein BMW Offroader und ein Plantagentraktor) um die Äpfelbäume zu düsen und die Bins von einem Ort zum anderen zu fahren.

Wein

Eine Flasche Eiswein der Rollingdale Winery, die wir zu einem absoluten Schnäppchenpreis bekommen haben

Am 24. Oktober, während Eric und ich gerade Äpfel pflückten, bekam ich einen Anruf von der Rollingdale Winery in West Kelowna. Kurz nach meiner Ankunft in Kelowna rief ich alle verzeichneten Weingüter in Kelowna an, um nach Arbeit zu fragen. Viele versprachen, mich zurückzurufen, aber nur Rollingdale rief tatsächlich zurück. Die nette Dame fragte mich, ob ich nicht am Donnerstag bei ihnen in der Weinernte arbeiten möchte. Sie würden zwanzig Dollar die Stunde bezahlen. Ich war zwar vom Fleck weg begeistert, bat sie aber, sie zurückrufen zu dürfen, da ich noch ein paar Freunde fragen wollte. Eric, der mir den Job auf der Apfelplantage verschafft hatte, erzählte ich es als erstes und er war spontan dabei. Dann dachte ich an Rob und Chris aus dem Hostel. Sie hatten mir zwar keine Jobs verschafft, aber ich erinnerte mich, dass sie auf der dringenden Suche nach Arbeit waren und außerdem hatte ich mit ihnen so manch äh... interessante Momente erlebt. Es war also Zeit, etwas zurück zu geben. Natürlich stimmten sie ohne zu zögern zu. Okay, ich muss ehrlich sein. Ein bisschen war es natürlich auch die Tatsache, dass Rob ein Auto und Chris den nötigen kanadischen Führerschein hatte, um uns zum Weinberg zu fahren.

Wir waren dann doch ganz erfreut, mit Traubensaft im Wert von 680 Dollar nach Hause fahren zu können
Um sieben Uhr früh sollten wir dort sein. Auf die Minute genau waren wir da. Vor dem Weingut warteten schon ein paar weitere Erntehelfer. Es war verdammt kalt. Minus vier Grad Celsius! Aber das war nicht das Schlimmste. Kyp, der uns bereits erwartete, sagte uns, dass die zwanzig Dollar nicht bar oder als Scheck ausgezahlt werden, sondern in Wein. Zunächst waren wir schon etwas verärgert, denn eigentlich brauchten wir eher das Geld als Alkohol. Nach achteinhalb Stunden Traubenpflücken waren wir dann aber doch ganz erfreut darüber mit einigen Litern Traubensaft im Wert von insgesamt 680 Dollar nach Hause fahren zu können. Vorher aber lud uns Kyp noch ein, ein paar Weine zu kosten. Absolutes Highlight war, als Kyp uns jedem einen Schluck eines Eisweins (Wert 150 Dollar pro 200ml) einschenkte. Ich glaube, es waren nicht einmal mehr als 5cl, die er uns gab und dennoch habe ich fast eine viertel Stunde daran genippt. Die Farbe des Weins, ich glaube es war ein Pinot Gris, war leuchtend gelb und seine Konsistenz war etwas flüssiger als Sirup und sein Geschmack... Schmacht... Wie Honig! Und es kommt noch besser.

Jeder von uns entschied sich, für seine 170 Dollar einen Karton mit je 12 Flaschen Rotwein im Wert von 120 Dollar zu nehmen. Blieben für jeden also noch 50 Dollar übrig. Uns allen hatte es der Eiswein schon sehr angetan und wir hätten gern jeder eine 200ml Flasche genommen, aber das hätte das Budget überschritten. Es gab noch einen anderen Eiswein für 100 Dollar die Flasche, aber selbst das war noch zu viel. Wir diskutierten gerade darüber, ob wir deshalb vielleicht zusammenlegen und statt vier Flaschen nur zwei nehmen sollten, um sie uns dann zu teilen. Da empfahl uns Joe, der Kellermeister, nochmal mit Dave, dem Besitzer des Weinguts, zu sprechen und etwas auszuhandeln. Ich dachte, er würde uns vielleicht mit 10 bis 20 Dollar entgegen kommen. Tatsächlich kam er mit vier der begehrten Flaschen auf uns zu und gab jedem von uns eine - zum halben Preis!!! Die meisten Flaschen (bis auf den Eiswein) haben ihre zweite Destillation bereits hinter sich. ;)

Halloween

Halloween im Kelowna International Hostel

Man darf sich da wirklich nicht zu alt dazu fühlen
Halloween stand an und das heißt in Canada verkleiden und Spaß haben. Ich hatte nicht wirklich ein Kostüm, also versuchte ich aus den Sachen, die ich hatte, etwas zusammen zu schustern. Ich hatte mir überlegt, mich als zerstreuten Lehrer rauszuputzen, letztendlich sah ich zwar dann doch eher aus wie ein Fachidiot, aber ich war verkleidet. Im Hostel feierten wir schon am Samstag, da einige nachts noch um die Häuser ziehen wollten, und das am Montag ungünstig gewesen wäre. Das hielt uns aber nicht davon ab, am Montag ein zweites Mal Halloween zu feiern. Maik, Cait, Eric und ich hatten die wunderbare Idee auf Trick-Or-Treat-Tour zu gehen, das heißt an Haustüren zu klingeln und nach Süßigkeiten zu fragen. Man darf sich da wirklich nicht zu alt dazu fühlen. Ich war mit meinen 28 Jahren der Älteste in der Runde und Erik mit 9 Jahren weniger auf dem Buckel der Jüngste.

Nun wollten wir aber unsere Süßigkeiten nicht einfach so ohne Verdienst entgegennehmen, also beschlossen wir zu singen. Unsere Kostüme waren ziemlich willkürlich und anstelle eines Idioten mimte ich nun einen Gospelpriester. Cait trug ein wirres Durcheinander an Ketten und anderem Schmuck, Eric war der 80er Jahre Rockgitarrist (mit echter Gitarre) und Maik war der Clown. Unser Auftritt lief dann folgendermaßen ab. Maik klingelte an der Tür. Dann kam ich. Je nachdem wer die Tür öffnete, sagte ich "He brotha (bzw. sista)! Listen, we gotta message for ya!" Und dann sangen wir folgende abgewandelte Zeilen zur Melodie eines berühmten Liedes:

We like candy!
We want candy!
We want candy!
We must have candy!

Unser hart verdienten Süßigkeiten

Die Leute, die uns die Türen öffneten, waren ziemlich überrascht, denn mit einem nächtlichen Auftritt der wohl skurrilsten Band aller Zeiten vor ihrer Austür hatten sie wohl nicht gerechnet. Diese Überraschung brachte sie dann auch dazu, ihre gesamten Vorräte an Süßigkeiten in unseren Süßigkeitenbeutel auszuleeren. Wir mussten nicht an vielen Haustüren klingeln, bis unser Beutel voll war. Nach ca. zehn Auftritten hatten wir genug an Gage eingenommen, um unsere Aufwendungen zu decken.

Was durchaus verblüfft, ist die Freundlichkeit kanadischer Hunde
Zum Schluss noch etwas Kulturelles. Es kommt sicher nicht überraschend, wenn ich sage, dass die Kanadier ein außerordentlich freundliches und hilfsbereites Volk sind. Was aber durchaus verblüfft, ist selbst die Freundlichkeit kanadischer Hunde. An mehreren Türen streckten uns große und weniger große Hunde ihre noch größeren Schnauzen entgegen. Ohne Probleme hätten sie uns als Mitternachtssnack verschlingen können. Ich hatte wenigstens ein Bellen oder zumindest ein Knurren erwartet, aber stattdessen schnüffelten sie nur neugierig an unseren Süßigkeiten. Dieses Land ist total verrückt.

Am nächsten Tag machten sich Cait, Eric und ich auf zu unserem neuen Haus auf Big White. Aber von dieser interessanten kanadischen Erfahrung erzähle ich euch in meinem nächsten Blog.

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Für Sprachliebhaber ein echtes Muss!
(24. Mai 2013)

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