
27. Juli 2012, 15:33 (Orillia, Kanada)
Es ist schwer einen guten Anfang für diesen Blog zu finden. Drei Monate voller Wahanowin-Wahnsinn lassen sich beim besten Willen nicht in einem Blogeintrag zusammenfassen.

Die Councellor verkleidet als Schlümpfe - bereit für die Midnight Madness (Foto: DF)
Zwei Monate Ropes-Instructor und ein Monat Councelor sind jetzt zu Ende. Während dieser Zeit habe ich besondere Menschen kennen lernen und fantastische Momente mit den Kindern teilen können. Es gibt wohl kaum eine bessere Alternative, seinen Sommer zu verbringen.
Es waren drei Jungs aus Mexiko, die ich ins Herz geschlossen habe Es lässt sich nicht leugnen, dass trotz aller Bemühungen, alle Kinder gleich anzusehen, sich doch ein paar Favoriten heraus kristallisieren. In meinem Fall waren es drei Jungs aus Mexiko, die ich ziemlich ins Herz geschlossen habe. Einer von ihnen, Dan, hatte auch zu mir eine große Bindung entwickelt. Er suchte sehr häufig meine Aufmerksamkeit und Nähe und wollte, dass ich nachts an seinem Bett blieb, bis er einschlief. Unser Abschied war wohl der schwerste, doch dazu etwas später.

Mis hermanos mexicanos pequenos
Alex hatte eine extreme Spinnenphobie. In diesem sehr rustikalen Camp wimmelte es aber nur so von Spinnen. Er fürchtete sich so sehr, dass er sich sogar weigerte, die WCs zu benutzen.
Am zweiten Tag im Camp war er sehr weinerlich und wollte an keum einer Aktivität teilnehmen. Ich versuchte herauszufinden, was sein Problem sei und vermutete, der Kletterpark machte ihm einfach nur Angst. Er versuchte es mir zu erklären, aber sein Englisch war nicht leicht zu verstehen. Ich gab ihm meinen iPod und ließ ihn mir mithilfe des Google-Translators sein Problem schildern. So fand ich heraus, dass er seit zwei Tagen jegliches WC vermied und es langsam für ihn unangenehm wurde.
Ich nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm zu den verschiedenen WCs auf dem Campgelände, um ihn dazu zu bewegen, es doch zu versuchen, aber unter Tränen versicherte er mir, dass er auf keines von ihnen gehen würde. Ich brachte ihn schließlich zu den Gästetoiletten, die im Verhältnis die angenehmsten waren. Doch auch hier ließ er sich nicht sofort überzeugen, selbst dann nicht, als ich all die Spinnen und Netze entfernt hatte.
Mit meinem Latein völlig am Ende fragte ich ihn, was ich denn in seinen Augen tun könnte, damit er sich wohl genug fühlt, um aufs Klo zu gehen. Seinem Wunsch, mit hinein zu kommen und zu warten bis er fertig ist, konnte ich natürlich nicht nachkommen. Wir vereinbarten aber, dass ich mit dem Rücken zu ihm in der Tür stehen blieb, sodass er mich sehen kann.
Bei den folgenden Malen versuchte ich immer mehr ein Stück aus dem Raum herauszukommen. Manchmal hielt ich die Tür von außen fest, so dass er nur meine Finger sehen konnte. Zum Schluss war ich ganz draußen, redete aber stattdessen mit ihm.
Eines Tages, nachdem er seinen Toilettengang erledigt hatte, musste auch dringend und bat ihn deshalb, schon zurück zur Hütte zu gehen. Als ich zehn Minuten später herauskam, stand er davor und hielt mir als Dankeschön für meine Geduld einen Schlüsselanhänger entgegen, der die Form eines mexikanischen Sombreros hatte und auf dem Mexiko stand. Das war sehr rührend.
Dani, der dritte im Bunde, war etwas reservierter. Er wusste genau was er wollte. Und wenn ihm etwas nicht gefiel, sagte er: "Me no like!", was ich hin und wieder gern zitierte. Er hatte den Charm einer Comicfigur, die alle, besonders die Councellor um ihn herum zum Lachen brachte. Weniger zum Lachen war jedoch ein Erlebnis, das ich mit ihm hatte.
Über den Sumpf führte ein Holzsteg, der an manchen Stellen vermodert war Eines Tages stand für unsere Hütte Mountainbiking auf dem Programm. Wir waren nur zu fünft anstelle von zehn, da die restlichen Jungs auf einem Ausflug waren. Ich nahm die drei Mexikaner und den einen kanadischen Jungen zur Swamp Road, eine unasphaltierte Straße im Camp, die zu einem Sumpf führte. Über den Sumpf führte ein Holzsteg, der an manchen Stellen bereits vermodert und zusammen gebrochen war. Die Jungs waren von dem abenteuerlichen Anblick so begeistert, dass ich beschloss, mit ihnen auf den Steg zu gehen.
Wir legten unsere Mountainbikes nieder und kletterten los. Manche Stellen waren einfach zu bewältigen. An anderen wiederum musste ich helfen, weil die Bretter fehlten oder sich eine Seite des Steges herab gesenkt hatte und wir hätten abrutschen können. Wir überstanden den kompletten Pfad, der um die 500 Meter lang ist, bis zum Schluss ohne Probleme. Wir waren gerade am Ende angekommen - buchstäblich nur ein Schritt und wir wären auf der sicheren Wiese gewesen - da entdeckte ich ein paar Bretter, aus denen fiese Nägel herausstachen.
Dani und ich waren die letzten und ich war gerade dabei, ihn vor den Nägeln zu warnen, als er mich mit einem erschrockenen Gesicht ansah. Ich schaute auf seinen Fuß. Ein Nagel hatte sich seinen Weg durch den Schuh, der unglücklicherweise ein Flip Flop war, gebohrt. Dani sagte nichts. Er schrie nicht, sondern deutete nur auf seinen Schuh. Ich dacht, dass wir noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen wären, doch dann tropfte Blut auf den Boden und Dani bekam eine Panikattacke.
Er schrie so laut, dass ich es nicht schaffte, ihn zu beruhigen. Ich versuchte mir die Wunde anzusehen, aber er ließ mich nicht. Er schrie mich an: "Chelp me!". Ich griff ihn unter die Achseln und schwang ihn auf meine Schultern. Ich sagte den anderen Jungs, sie sollten zurück zur Hütte gehen und rannte mit Dani zum Health Center. Währenddessen schrie er immer wieder um Hilfe und brüllte mich panisch an, schneller zu rennen. Jeglicher Versuch, ihn zu beruhigen, scheiterte.
Im Health Center angekommen schrie er zwar immer noch um Hilfe, sobald aber die Schwester einen Blick auf die Wunde werfen oder den Fuß berühren wollte, brüllte er sie an, ihn nicht anzufassen. Ich versuchte mein bestes ihn zu beruhigen. Auf Englisch und auf Spanisch, doch es half nichts. Armer Dani. Er tat mir so leid. Er war so wütend. Ich dachte, von nun an würde er mir nicht mehr in die Augen sehen.
Als Dani leise meinen Namen rief, wusste ich, wir waren noch Freunde Nach einer Weile löste mich Lou ab, damit ich mich um die anderen Jungs kümmern konnte. Eine halbe Stunde später ging ich noch einmal zum Health Center zurück, um zu sehen wir es Dani ging. Zumindest hörte ich kein Schreien mehr und als ich hineintrat, rief Dani leise aber freudig meinen Namen. Da wusste ich, wir waren noch Freunde. Wir waren sogar noch so gute Freunde, dass er im Nachhinein mich anstelle der Schwester die Wunde versorgen ließ. Ich gab ihm zwei Socken von mir, die die Wunde abdecken sollten.
Dani geht es gut und bereits zwei Tage später sprang er schon wieder in den See.

Abschied von meinem hermano pequeno (Foto: DF)
Am Mittwoch kamen all diese Abenteuer und dieser unglaubliche Sommer aber leider zu einem Ende. Der Abschied von meinen mexikanischen hermanos pequenos (kleine Brüder) fiel mir besonders schwer. Auch für sie war es offensichtlich nicht leicht.
Nachdem ich an diesem Tag das Camp als Bus-Parent verlassen hatte, schrieb mir Lou, unser Unit Head für die Altersgruppe Eagles, folgende E-Mail:
Marcel, mein Freund,
Ich weiß, ich habe es bereits während eines Staff-Meetings erwähnt - die Bindung, die du zu den mexikanischen Jungs hattest. Aber ich glaube, gestern habe ich es wirklich gespührt und auch die Wirkungen gesehen, die du auf sie hattest...
Augenblicke, nachdem der Bus das Camp verließ und wir uns in der Dining Hall versammelten, hielt sich Dan an einem meiner Arme fest und Dani an meinem anderen.
Dan völlig unter Tränen, Dani stark und schweigend mit Tränen auf seinen Wangen.
Wir gingen gemeinsam zur Hütte 10, die sich so leer anfühlte, nun da alle Kinder fort waren und Dan entdeckte etwas, das du vergessen hattest... dein Handtuch.
Er rannte sofort darauf zu und schloss es in seine Arme und weinte wieder. Er fragte mich, ob er es behalten könnte, ich sagte ja (hoffe das ist in Ordnung).
Er umarmte es noch als er in den Bus stieg und legte sein Gesicht hinein wie in eine Schmusedecke.
Ich hoffe, du siehst die Wirkung, die du auf diese Kinder hattest. Das zeigt mir nur, welche Veränderungen du in ihnen bewirken kannst.
Ich weiß, diese Jungs werden sich an Marcel, ihren Counsellor, für den Rest ihres Lebens erinnern.
Vielen Dank für deine Mühe, Freundschaft und die Fotografiestunden!
Lou
Wie verrückt mein Sommer ansonsten war, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. Ich empfehle euch daher einfach einen Blick auf die folgenden Waha-TV Videos zu werfen, die die ersten vier Wochen des Camp-Sommers 2012 festhalten. Auch wenn ein paar kurze Abschnitte auf Englisch sind; Nehmt euch die vier Minuten pro Clip Zeit, lehnt euch zurück und seht wie atemberaubend meine letzten zwölf Wochen waren.
Eröffnungsvideo der Sommersaison 2012
Rücklick Woche 1
Rücklick Woche 2
Rücklick Woche 3
Rücklick Woche 4
Die folgenden zwanzig Tage, die mir auf dem nordamerikanischen Kontinent bleiben, werde ich noch einmal mit reisen verbingen. Meine erste Station wird dabei New York City sein! Ganze drei Tage nehme ich mir für diese ungreifbare Metropole Zeit.
Danach reise ich weiter Richtung Süden nach Newark in Delaware, wo ich Corey, den ich vor vielleicht zehn Jahren in Deutschland kennengelernt hatte, und seine Familie besuchen werde. Gemeinsam schauen wir uns dann auch Washington, DC und Philadelphia an.
Von Philadelphia aus soll es dann weiter nach Salt Lake City gehen. Eine Autostunde von da entfernt lebt Anita, eine weitere Bekannte, die ich ebenfalls vor vielen Jahren durch einen glücklichen Zufall kennenlernen durfte.
Die letzte Station wird Vancouver sein. Dort wird mich Elias aus Deutschland für zehn Tage besuchen und gemeinsam fliegen wir dann am 19. August 2012 wieder zurück nach Hause.
Die Reiseplanungen sind bis auf Kleinigkeiten soweit alle abgeschlossen. Ein Abenteuer jagt das nächste. Ich freu mich!
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Für Sprachliebhaber ein echtes Muss! (24. Mai 2013)
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