Ein Haus auf Big White
18. Oktober 2011, 17:49 (Kelowna, Kanada)

Nur, weil ich jetzt eine Weile lang nix Neues veröffentlicht habe, heißt das nicht, dass nix passiert ist. Im Gegenteil: Es gibt soviel zu erzählen, dass ich gar nicht weiß, wo ich genau anfangen soll.

Ein Bin, wie wir ihn für 22 Dollar füllen müssen

Ich bin ehrlich gesagt ziemlich langsam
Ich habe einen Job. Ich pflücke Äpfel. Große und kleine, gelbe und rote, runde und nicht ganz so runde. Es ist nicht gerace die Art von Arbeit, die man sich wünscht, denn sie kostet viel Kraft und eigentlich wird sie auch einfach zu schlecht bezahlt. Wir sind insgesamt vier Picker auf der Plantage. Manchmal auch nur zwei und wir werden nach Bins bezahlt. Bins, das sind große, quadratische Kisten von ca. 1,5m Breite und Länge, sowie ca. 1m Höhe. Und die müssen voll werden. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich langsam. Heute habe ich das erste Mal 3 solcher Bins vollbekommen. In den Tagen davor waren es immer nur zwei. Reich wird man damit auch nicht. Für die drei Bins und acht Stunden echt harte Arbeit gibt's gerade 66 Dollar.

A propos Arbeit. Die letzten Wochen habe ich eine Menge Bewerbungen geschrieben, meinen Lebenslauf zigmal überarbeitet und zahlreiche Emails verschickt. An eine Anstellung als Lehrer oder wenigstens als Assistant Teacher ist eigentlich gar nicht zu denken. Deshalb habe ich es erstmal wieder in dem Beruf versucht, den ich zwar erlernt habe, in dem ich aber eigentlich nicht (so schnell) wieder arbeiten wollte - der Gastronomie. Unter anderem hatte ich eine Bewerbung als Reservation Agent auf Big White rausgeschickt, dem zweitgrößten Skiresort in British Columbia. Nur ein paar Tage später bekam ich eine Email, dass die Stelle zwar schon besetzt wurde, aber immernoch Front Desk Agents gesucht werden und ich dafür zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen bin. Front Desk Agent gefällt mir sowieso besser.

Jeremy versicherte mir: "We're gonna nail this sh*t!"
Big White Central Reservations, die Firma, die das Skigebiet leitet, veranstaltet jedes Jahr eine Job Fair im Best Western Hotel in Kelowna. Es ist ein regelrechter Marathon an Berwerbungsgesprächen. Die Gespräche fanden in kleinen, durch Vorhänge abgetrennte Kabinen statt, und dauerten nur ein paar wenige Minuten. Am Tag des Gesprächs, das übrigens erst am Abend um sechs stattfand, wollte ich meinen Lebenslauf noch schnell ausdrucken. Nur für den Fall. Allerdings hatten all die anderen aus dem Hostel, die ebenso ein Vorstellungsgespräch hatten, dieselbe Idee, sodass für mich und Jeremy (ein echt lustiger Zeitgenosse aus Zimbabwe, Australien und 40 weiteren Ländern) nur noch buntes Papier übrig war. Ich schlug vor blau zu verwenden. Jeremy und Chris fanden aber, dass sich weibliche Interviewer wohl eher über rot freuen würden. Ich ließ mich überreden und druckte mein Résumé (Lebenslauf) sowohl auf rot als auch auf blau. Ich wollte schließlich auf alles vorbereitet sein. Und als Jeremy mir versicherte "We're gonna nail this sh*t!" (auf höflich deutsch: Wir werden das Kind schon schaukeln.), waren alle Zweifel verflogen.

Natürlich war ich nicht der einzige aus unserem Hostel, der sich für eine der verschiedenen und begehrten Stellen beworben hatte. Viele aus dem Hostel trafen sich also im Warteraum wieder. Ich musste nicht lange warten, bis Jennifer meinen Namen aufrief, um mit ihr in ihre Kabine zu gehen. Das Gespräch war ziemlich entspannt. Es war für den Moment recht ungewohnt, aber es ist in Kanada tatsächlich üblich, dass man auch seine Vorgesetzten von Anfang an mit deren Vornamen anspricht. Auf meine sehr formell gehaltene Email ein paar Tage zuvor erhielt ich von Jennifer eine ziemlich lockere zurück: "Hi Marcel,... Cheers, Jennifer". So locker war dann auch das Gespräch, das nach fünf Minuten schon wieder vorbei war. Jennifer sagte mir noch, dass ich am Montag meinen Job Offer Letter, also die Stellenbeschreibung und weitere Hinweise für die Zeit auf Big White bekommen würde, was gleichzeitig bedeutete, ich hatte den Job.

Big White, die Geisterstadt

Außerhalb der Saison ist Big White eine Geisterstadt
Rob, der hier im Hostel arbeitet, war im vergangenen Jahr schon einmal auf Big White und auch dieses Jahr wird er wieder dabei sein. Er erzählte uns, dass er in der letzten Saison mit einigen anderen ein Haus als Staff-Unterkunft (staff = Personal) gemietet hatte und das auch dieses Jahr wieder vorhätte. Da am Samstag (15.10.) für manche die zweite Bewerbungsrunde stattfand, schlug Rob uns vor, gleich mit hoch zu fahren und nach Häusern zu schauen. Er hatte sich schon eins ausgesucht und eine Besichtigung vereinbart. Bevor wir uns das Haus ansahen, schlichen wir noch ein wenig durch die vollkommen leergefegten Gassen von Big White. Außerhalb der Saison ist keine Menschenseel da oben. Es wirkte schon fast wie eine Geisterstadt.

Snowpine Rd, Big White, BC: Hier steht unser Haus

Zunächst hatten wir uns ein anderes von außen angeschaut, dann waren wir noch in dem Haus, in dem Rob die vergangene Saison verbracht hatte und dann schauten wir uns unsere zukünftige Behausung an. Es ist ein echt schönes Haus, ein typisch kanadisches Holzhaus eben. Eigentlich besteht es aus zwei Haushälften. Ich weiß gar nicht mehr wieviele Bäder das Haus hat aber ich glaub es waren vier. Außerdem besitzt es zahlreiche Schlafzimmer auf zwei offenen Ebenen, sowie ein Hot Tub (Whirlpool) und ein Billardtisch. Zusammen sind wir acht, aber in die andere Hälfte ziehen auch noch welche von uns ein. Das heißt also, dass eine riesen Horde aus dem Kelowna International Hostel sich auf Big White wieder zusammenfinden wird.

Unser Haus von außen

Meinen ersten Arbeitstag habe ich am 14. November. Ein absoluter Pluspunkt ist, dass wir kostenfrei auf die Pisten dürfen, umsonst Ski- bzw. Snowboardstunden nehmen können und auch sonst zahlreiche vergünstigungen bekommen. Bis dahin heißt es aber erstmal weiter Äpfel pflücken.

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